Schlimmer Verdacht
“Hey Ricky, hey Anja!” Lasst uns heute in der Burg treffen, o.k.?” “Ja, sicher!”, erwiderte Ricky. “Wir treffen uns in der großen Pause im Schulhof draußen. Dann können wir weitersprechen”, ergänzte Anja.
Frau Rösl gestaltete wie immer den Unterricht richtig interessant und spannend. Heute war Erdkunde dran. Das war Tom’s Lieblingsfach. Thema heute war Afrika. Vor lauter Aufmerksamkeit und von den vielen verschiedenen Tieren und Menschen, die es dort gab, bekam Tom ganz rote Ohren. Afrika, das war sein Lieblingsland. Dort würde er eines Tages ganz bestimmt hinfliegen.
Das Schrillen der Glocke riss Tom aus seinen Gedanken. Große Pause. Schnell lief er mit Anja und Ricky in den Schulhof. Während sie ihre Schulbrote aßen, sprachen sie fast nur von ihrer Burg. Sie machten Pläne, wie sie die Festung einrichten wollten. “Wir machen uns unsere eigene Flagge!”, schlug Anja vor. “Cool und wir drucken uns ein besonderes Tier drauf. Ihr wisst schon was ich meine.” “Wappentier nennt man das”, ertönte Ricky’s rauhe Stimme. “Hey, wir könnten ein Bild von Kuga draufdrucken lassen!” Tom’s Stimme überschlug sich fast vor lauter Begeisterung.
Beinahe hätten die drei Freunde die nächste Unterrichtsstunde versäumt, so sehr waren sie mit ihrer neuen Festung beschäftigt. Als sie ins Klassenzimmer liefen, blieben sie plötzlich erschrocken stehen. Sie standen ganz starr vor Schreck. Die Polizei! “Setzt euch!”, ermahnten die beiden Beamten die Kinder. Was war passiert? Alle Schüler waren ganz steif und ruhig. Frau Rösl sprach mit den beiden Männern und schien ganz nervös zu sein. Ängstlich blickten sich die drei Freunde an. Es musste was Schlimmes sein. So aufgebracht hatten sie ihre Lehrerin noch nie gesehen.
“Aufpassen!”, ertönte plötzlich die laute Stimme eines der beiden Polizisten. “Irgendwann im Laufe des Vormittags wurde das Pult eurer Lehrerin aufgebrochen. Wahrscheinlich mit einem Schraubenzieher. Es wurde auch etwas gestohlen.” Frau Rösl drängte sich vor und erklärte:”Hier im Pult lagen 200 Euro für die nächste Klassenfahrt. Die sind weg. Außerdem ein wertvoller Füllfederhalter, den mir mein Großvater vererbt hatte.” Verstört blickte sie alle Schüler der Reihe nach an. “Wahrscheinlich war es einer aus unserer Klasse!”
Leichenblass saßen die Kinder da. Das war ein Schock! Wer mochte es gewesen sein? Wer war zu so einer schlimmen Tat fähig? “Also Kinder. Wir wollen hier keinen verdächtigen, aber wir müssen den Diebstahl untersuchen. Vielleicht befindet sich ja die Beute noch mitten unter uns.” Mit zusammengekniffenen Augen musterte der Polizist einen Schüler nach dem anderen. Verängstigt zogen die Kinder ihre Köpfe ein. Wer war es? Die Ruhe im Raum machte alles noch schlimmer.
“So Kinder!”, rief er. “Ein jeder von euch öffnet jetzt seine Schultasche und leert den ganzen Inhalt auf den Tischen aus. Einer nach dem anderen. Wir fangen in der ersten Reihe der Fensterseite an.” Wolfgang war der erste. Nervös schüttelte er seine Schultasche leer und nahm alle Hefte raus. Da war nichts, was nicht ihm gehörte. “Leere jetzt deine Hosentaschen aus!”, befahl ihm der Beamte. Aber auch da war außer einem Kaugummi und dem Schulbus-Ticket nichts drin. Annette war als nächste dran. Auch bei ihr wurde nichts gefunden.
Fieberhaft überlegte Tom, wer aus seiner Klasse zu so etwas fähig sein sollte. Er kannte zwar alle nicht so genau, aber er traute eigentlich keinem so etwas zu. Auch er hatte seine Tasche nun vollständig ausgeleert. Ein polterndes Geräusch erschreckte ihn plötzlich. Der Füllfederhalter! Tom schaute mit offenem Mund hoch und blickte in die lauernden Augen des Polizisten. Dahinter stand Frau Rösl und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. “Nein!”, schrie sie laut. Tom wurde leichenblass. Ihm wurde auf einmal ganz übel und sein Körper wurde abwechselnd heiss und kalt. “Da haben wir den Übeltäter!”, rief der Polizist. Dessen Kopf war nun ganz rot und seine glänzenden Augen verzogen sich zu schmalen Schlitzen.
Tom dachte, dass er in einem Albtraum gefangen sei. Er wollte endlich aufwachen. Aber nein, das war die Wirklichkeit. Er blickte sich kurz zu seinen Freunden um und starrte in deren ungläubige Augen. Das war ein grausamer Schock für Tom. Er hatte seine Freunde verloren. Leise kullerten seine Tränen die Wangen hinunter. Lieber Gott, hilf mir!, flehte er in Gedanken.
“Komm mit!”, forderte ihn der Beamte auf. “Wir bringen dich zu deinen Eltern.”
“Nie und nimmer!” Herr Thaler wurde jetzt böse. “So etwas macht unser Sohn nicht. Da sind wir uns total sicher!” Frau Thaler nahm ihren Sohn in den Arm und versuchte, ihn zu beruhigen. “Der Füllfederhalter wurde bei ihm gefunden und das ist ja schon der Beweis, oder?” Der Beamte wollte unbedingt ein Geständnis haben und rausfinden, wo Tom das Geld versteckt hatte. “Und ich sage Ihnen, dass Tom das nicht war. Wahrscheinlich wurde ihm der Füllfederhalter untergeschmuggelt.” “Ach was!” Ärgerlich nahm der Polizist seinen Block. “Ich komme wieder!” Mit lauten Schritten verließ er das Haus.
Traurig blieb Tom die ganze Zeit auf seinem Zimmer. Er hatte keine Lust, etwas zu unternehmen. Keiner konnte ihn aufheitern, nicht einmal sein Vater. Dafür wich Kuga nicht von ihm. Die ganze Zeit war er ganz nah an seiner Seite und stubste ihn hin und wieder mit seinem Näschen an dessen Stirn. Ein Klopfen an seiner Tür ließ ihn hochfahren. “Tom! Willst du mit uns sprechen?” Es war Anja’s Stimme, die durch die Tür drang. Langsam öffnete Tom diese. Ricky und seine Schwester sahen Tom lange an und sagten dann:”Tom, wir wissen genau, dass du es nicht warst. Wir sind und bleiben deine Freunde. In guten und schlechten Zeiten.”
Tom’s Herz machte fast einen Sprung vor Freude. Er hatte seine Freunde nicht verloren. Er konnte gar nicht sagen, wie froh er war. Selbst wenn er von seiner Lehrerin und den Polizisten wegen des Diebstahls verdächtigt wurde. Seine Freunde waren ihm das Wichtigste. Die drei Verbündeten sprachen lange über die Situation aber fanden leider keine Lösung. “Wir halten zu dir, Tom!”, sagte Anja. “Wir werden dir auch helfen, dass du da wieder rauskommst.”
Am nächsten Samstag hatte Tom’s Vater eine Überrachung für seinen Sohn. “Komm einfach mit und schau!” Tom folgte ihm durch den verwilderten Garten, bis sie an den Spielturm kamen. “Was ist das?”, fragte der Junge. “Tja, ganz einfach. Jede Burg hat einen Burggraben. So auch deine!” “Cool, Papa! Ein richtiger Graben!”, staunte Tom. “Ja, aber das ist nicht alles. Sobald ich wieder mehr Zeit habe, kleide ich diesen Graben mit Teichfolie aus. Dann lassen wir Wasser einlaufen und schon ist deine Festung geschützt vor Feinden. Er ist zwar nicht tief, aber bis zu den Knien kann man schon einsinken.” Tom war trotz dem tiefen Schmerz, den er noch in sich hatte, ganz froh und konnte es kaum mehr erwarten, bis endlich Wasser drin war. Aber dass der Graben für noch ganz andere Sachen gut war, das wusste er bis jetzt noch nicht.
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