Der Umzug
Der große Umzug stand bevor. Tom und seine Eltern zogen von München in das kleine Dorf Metten. Mutti erzählte ihm, dass die neue Heimat ganz viele Wiesen und Bäume hat. Viel mehr als in München. Ihr Haus wird viel viel größer sein als das alte. “Und das Beste ist ein riesengroßer Garten für dich”, flüsterte seine Mutti ihm damals ins Ohr. “Und weisst du was? Wir werden dir und Kuga einen tollen Spielturm in diesem Garten bauen.” Seine Mama versuchte ihn aufzuheitern, aber Tom war gar nicht froh. Er hatte Angst vor der fremden Gegend. Und er wusste nicht, was ihn dort erwarten würde.
Sein Vater wurde von seiner Firma hierher versetzt. Tom war schon etwas traurig darüber, weil er vieles vermissen würde. Den großen Olympiapark, in dem er herrlich mit seinem Skateboard fahren konnte und natürlich den Englischen Garten, in welchem er super mit dem Rad weite Runden fuhr. Den großen Fluss Isar, an dessen Ufer er die Papierboote, die er mit Mutti bastelte, ins Wasser setzte. Den riesigen Viktualienmarkt, wo ihm seine Mutter immer die wunderbar duftenden Schokoladenfrüchte kaufte.
So eine Trennung tat schon recht weh, aber wenn er es sich genau überlegte, hatte dies auch etwas Gutes. Nur allzu ungern erinnerte sich Tom an zwei Mitschüler seiner ehemaligen Grundschule, die ihn immer wegen seiner roten Haare und seiner Nickelbrille gehänselt hatten. Sie dachten sich immer wieder neue Streiche aus. Einmal, als er gerade seinen Schulranzen nehmen wollte, fand er darin jede Menge an Grasbüschel mit einem Haufen Lehm darin. Seine Bücher waren total verschmutzt, eines sogar so sehr, dass ihm seine Mutter ein neues kaufen musste.
Papa schimpfte ganz ordentlich mit Tom. Aber eigentlich konnte er doch gar nichts dafür. Er wollte seinem Vater alles erklären. Aber dieser hatte doch nie Zeit für ihn. Als Tom jetzt so darüber nachdachte, kullerten ein paar Tränen über sein Gesicht. Er fühlte sich ganz einsam und alleine. Richtige Freunde hatte er leider nie, denn seine Eltern mussten oft umziehen. Genauso wie jetzt. Tom hatte nur einen Wunsch: Er wollte endlich Freunde finden. Richtige Freunde. Die ihn nicht hänseln würden. Mit denen er Abenteuer erleben konnte.
“Tom, wo bist du denn?” Mutti rief nach ihm. Schnell wischte er sich die Tränen vom Gesicht und putzte sich mit seinem Ärmel die Nase. “Komme schon!” Er saß auf der Fensterbank und blickte nach unten. Da stand er schon. Ein riesiger Umzugswagen. Sie waren schon beinahe fertig. Sein Vater lief aufgeregt herum. Die Möbelpacker schleppten gerade die Couch in den Lastwagen. “Gleich geht’s los, Kuga!” Tom streichelte seinen treuen Kater, der mit ihm vor dem Fenster saß. Kuga war sein bester Freund.
Vor zwei Jahren ging seine Mama mit ihm in das Tierheim. Die Lehrerin hatte den Kindern erzählt, dass dort sehr viele Tiere sind, die kein Zuhause hätten. Sie waren einfach in der Kälte ausgesetzt worden. Auch ganz kleine Katzenbabies waren dabei. Ohne Futter und ohne Schutz. Als Tom damals den kleinen schwarzen Kater sah, wusste er sofort, dass er ihn mit nach Hause nehmen würde. Mit seinen dunkelgrünen kleinen Äugchen eroberte er sofort Tom’s Herz.
Die Mutter stimmte gleich zu und schwupps, schon gehörte der kleine Kater zur Familie. Das war ein ganz glücklicher Tag für Tom. Endlich hatte er einen Freund. Die beiden unternahmen vieles gemeinsam. Im Garten ihres Hauses hatte Tom ihm ein Haus aus Pappschachteln gebaut. Kuga versteckte sich gerne darin. Wenn seine Eltern oder er an dem Papphaus vorbeigingen, sprang der Kater schnell heraus und biss ihnen einfach in die Wade. Und zack, schon war er wieder in seinem Haus verschwunden.
Das tat nur ein bisschen weh, aber das war egal. Der Kater dachte sich immer wieder lustige Streiche aus und brachte damit alle zum Lachen. Ja, so war das damals.
“So Kuga, auf geht’s!” Tom legte dem Kater sein rotes Lederhalsband um. Da war der Name des Katers drauf und die Telefonnummer der Eltern. Das war sehr wichtig, falls Kuga mal verlorengehen sollte. Tom sprang auf und sah sich noch ein letztes Mal in seinem Kinderzimmer um. Alles war leer und kahl. Nur das Poster seines heissgeliebten Fußballvereins Bayern-München hing noch an der Wand. Und ab jetzt freute er sich auf den neuen Garten mit Spielturm und Kletterturm.
Die Fahrt in die neue Heimat dauerte nicht lange. Der Umzugswagen fuhr voran. Die Eltern folgten ihm mit ihrem Auto. Bis jetzt konnte Tom außer der Autobahn nicht viel sehen. Erst eine Stunde später entdeckte er einen Fluss. “Mama, Papa, schaut, der sieht fast so aus wie die Isar!” Aufgeregt richtete sich Tom auf und drückte seine Nase an der Scheibe platt. “Das ist die Donau. Da fahren sogar Schiffe drauf”, erwiderte sein Vater. “Und soviele Bäume und da, da ist eine ganz große Brücke!” Tom war jetzt ganz außer sich. “Warte Tom, gleich sind wir da!” Lächelnd zwinkerte ihm sein Vater zu.
Endlich bogen sie in eine kleine Einfahrt. Der Laster stoppte. “Wow!”, staunte Tom. Das ist unser Haus. Das ist ja riesengroß!” Er konnte es kaum erwarten und hüpfte schnell aus dem Auto. Beinahe hätte er Kuga in seinem Käfig vergessen. “Schnell Kuga, komm mit, wir sind Zuhause!” Tom stand nun vor dem großen, alten Haus. Da bekomme ich sicher ein ganz schönes Zimmer. Und natürlich eines für meinen Kater alleine. Das Haus war umgeben von einer riesigen Wiese. Da würde er sicher tolle Verstecke finden.
Tom’s Eltern waren schon dabei, die Möbel mit den anderen Männern abzuladen. Gerne wäre er in den Garten gegangen, aber irgendwie traute er sich nicht so recht. Das Gras stand so hoch, dass er kaum darüberblicken konnte. Überall standen riesige Tannenbäume. Lauter Christbäume, kam es ihm in den Sinn. Plötzlich sah er zwei dunkle Gestalten, die sich hinter den Bäumen versteckten. Tom stockte der Atem. Was war das? Waren das Geister? Erschrocken lief er zum Lastwagen zurück.
“Papa, Papa, komm schnell, da sind Geister im Garten!” Tom war vor lauter Angst ganz blass geworden. “Geister gibt es nicht, mein Junge”, antwortete der Vater mit ernster Miene. “Aber, ich habe doch… .” Tom versuchte zu erklären, was er gesehen hatte, aber sein Vater hatte nun wirklich keine Zeit für ihn. “Tom, das waren die Schatten der Bäume. Und überhaupt ist der ganze Garten eingezäunt, da kommt keiner rein.” Traurig setzte Tom sich auf einen grauen Stein, der neben dem Haus lag. Was er gesehen hatte, hatte er gesehen. Da war er sich ganz sicher.
Abends, als er dann in seinem Bett lag, wollte Mutti ihm noch eine Gute-Nacht-Geschichte erzählen, aber Tom konnte einfach die Schatten im Garten nicht vergessen. “Mama, ich habe Angst, dass die Schatten zu mir kommen”, flüsterte er seiner Mutter zu. “Hab keine Angst, mein Bub. Das waren nur die Schatten der Bäume. Wir sind hier und passen schon auf. Und Kuga beschützt dich auch. Er darf auch ab jetzt in deinem Bett schlafen.”
Die Mutter ließ die Tür einen Spalt offen. Ängstlich schmiegte sich Tom an seinen Kater. “Wir stehen das schon durch, Kuga”, versuchte er sich selbst zu beruhigen. “Und wenn Papa das Gras im Garten gemäht hat, schauen wir uns alles selbst an. Du kriegst ein neues Haus aus Pappe und ich baue mir ein Holzhäuschen mit Vater. Hab keine Angst, Kuga! Wir halten zusammen.” Erschöpft schlief Tom ein, während der Kater zufrieden auf dessen Bett lag und laut schnurrte.
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